Musik als Ökologische Praxis

Ich betrachte und behandle Klänge metaphorisch wie Lebewesen. Sie zeigen eine Art charakteristisches Verhalten, befinden sich in lebenszyklischen Prozessen von Verwandlung, Wachstum und Niedergang. Sie brauchen eine Lebensumgebung – akustisch gesehen (wie sie instrumentiert sind) – aber auch in dem Sinne, dass ihnen ständig Energie in Form von menschlicher Arbeit zugeführt werden muss. Ohne diese können Sie nicht existieren. Musik wird gewissermaßen zu energetischer Arbeit. Diese klingenden Lebewesen interagieren miteinander in einer Art Habitat, dem Musikstück. 

Dieses biologische Bild vom Habitat der Klänge verstehe ich als eine Alternative zum Material- und Strukturdenken der Vergangenheit. Nicht Klänge dienen der Struktur, der Verdeutlichung einer (wie auch immer abstrakten) Idee, sondern ihre physische Präsenz, ihr in der Welt sein, im Moment und in der zeitlichen Perspektive ihres Wachsens ist mein Angebot für eine sinnliche Wahrnehmung. Wie entwickelt sich Klang, wie interagiert er mit anderen, welcher Umraum ist um ihn herum wahrnehmbar? Der Akt des Hörens wird somit zu einem stillen Beobachten der Welt, ein kontemplatives Wahrnehmen ihrer Atmosphäre und ihrer lebendigen Präsenz. Insofern handelt es sich um ein Verhalten, wie es der Wahrnehmung unserer Mitwelt – alles Lebendigen insgesamt – dienen kann.

Ich verstehe meine Aufgabe als Komponierender darin, lebensfähige Umgebungen für Klänge und „akustische Habitate“ einzurichten. Klangliche Ökologie meint somit, eine klangfördernde Umgebung zu schaffen. Vielleicht ist dies aber auch in spielerischem Sinne als eine Variante von Naturwissenschaft zu begreifen. Ich beobachte und versuche zu verstehen, was entsteht, wie es funktioniert und versuche – sozusagen in „Trial and error“ – in nächsten Versuchen und neuen Musikstücken das Erkannte einzubinden. Hierbei wende ich Erkenntnisse an, etwa welche Arten und Typen von Klang es für mich gibt und wie sie sich weiterentwickeln können. Insofern sind meine Musikstücke auch die Anwendung einer Art Klangbiologie, die keinen Allgemeingültigkeits- Anspruch erhebt, sondern die Verfeinerung von Fertigkeiten darstellt im Dienste einer Klangförderung oder eines „Artenschutzes“ von Klang. Diese Bilder und Vergleiche erscheinen mir nicht wie ein Als-ob im Sinne reiner Metaphorik, sondern mein Handeln mit Klang scheint mir deutliche Verbindungen zu ökologischem Handeln zu haben und insofern sehe ich Musik als eine ökologische Praxis an, als eine Variante des mitweltlichen Lebens.

Musik auf akustischen Live-Instrumenten und Klangobjekten stellt sich für mich als eine Aufführung dar, welche ohne zusätzlichen aktiven Verbrauch von Energie und Strom zur Klangerzeugung auskommt. Sie fördert eine Präsenz ohne medialen Verzerrungseffekt, ohne Manipulation von Wirklichkeit. Stattdessen ermöglichst sie die Wahrnehmung der Gemeinschaft aller Beteiligten an einer Aufführung. Menschen spielen direkt für Menschen an einem gemeinsamen Ort zu gemeinsamer Zeit. Diese Gemeinschaft stellt sich mir als eine Wahrnehmungskategorie des Lebendigen, aber auch von Wirklichkeit dar.

Mir liegt an der Verbindung von Klang und Geräusch, an der Überwindung der Dichotomien und der daran gekoppelten Machtstrukturen. Das kulturelle Produkt des instrumentalen „Schönklangs“ stellt sich für mich als eine Variante einer Vielfalt von Klängen dar. Er ist genau wie andere Klänge ein Teil einer Kommunikation / lebendigen Interaktion verschiedener Arten von Klang, vor allem von Naturklängen in einem musizierenden Verhalten an / mit Naturobjekten. Manche dieser Klänge und Objekte sind etwas unkontrollierbar wie z. B. einzelne Wassertropfen oder leises Rascheln mit Blättern. Sie entziehen sich einem planbaren, perfektionistischen Zugriff. Ich kann mich mit ihnen einlassen, sie begreifen wollen, allerdings ist dies keine eindimensionale Dienstbarmachung für meine Zwecke. Ich muss es auf der ihnen angemessenen Weise tun, mich in einen symbiotischen Austausch, eine Rückkopplung mit Ihnen begeben und dabei achtsam mit ihnen umgehen und zugleich mich und die Welt dabei im Blick behalten – wie es sich bei der Geste des Musizierens insgesamt darstellt. Insofern ist auch das Musizieren eine Praxis der Lebenswahrnehmung, der Achtsamkeit und der Interaktion auf Augenhöhe, mit aller Vielfalt des Lebendigen.

Wenn es um die Frage der Ökologie geht, vor allem um das Aufhalten des fortschreitenden Ökozids – der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen in völlig fundamentalem Sinn – gibt es keine Aktiven und Passiven, keine Handelnde und Beobachtende, vor allem keine Unterteilung in Involvierte / Leidtragende und Unbeteiligte. Wir sind alle Teil dieser Entwicklung und somit auch alle aufgerufen, Handelnde zu werden. In diesem Sinne ist die Partizipation in meiner Musik zu verstehen: Als Bewusstmachung des involviert seins – hier in einer Aufführung. Egal an welchem Punkt in einem Koordinatennetz entlang der Achsen Profession, Interesse, Offenheit für das Experiment oder der Haltung zur der Aufführung ich mich sehe, ob ich „nur“ beobachte / zuschaue oder an Aktionen mitwirke, ob ich auf Instrumenten und Objekten musiziere, leite, dokumentiere, organisiere – ich bin gleichwichtiger Teil eines Prozesses. Ich kann dabei wählen, in welcher Weise ich partizipieren möchte und kann mich dabei selbst und meine Rolle im Ganzen, aber auch die anderen in ihrem Handeln wahrnehmen und befragen. Sind dies nicht wichtige Erfahrungen, die im Kontext der Kunst, in einem befreiten handlungsentlastenden Rahmen, erprobt werden können – auch für die Wirklichkeit einer ökologischen Transformation? Wie kann sich unser Denken und Fühlen dafür ändern? Ich versuche in den Musikaufführungen meiner Stücke hierfür Angebote zu machen.