to third space[s]

ist ein Werk für Chor / Vokalstimmen (mit optionaler Live-Verstärung), welches im Auftrag des SWR für das SWR-Vokalensemble 2018 - 2020 entstand.

Besetzung:

Gemischter Chor a capella oder Vokalensemble: in zwölf im Raum verteilte Gruppen aufgeteilt (S 1-3, A 1-3, T 1-3, B 1-3). Mindestens zwei, wenn möglich drei Sänger*innen pro Stimmgruppe (= Stimme der Partitur).

Zwölf Gestecke mit stark getrockneten Pflanzen/Blumen oder zwölf Plastikfolien für Knistern:
Falls Plastikfolien oder wenn Pflanzenstiele nicht hart genug: zusätzlich sieben Äste, welche am Ende des Werkes knackartig zerbrochen werden. Die Knister- und Knack-Aktionen werden nur solistisch (je eine*r pro Stimmgruppe / Stimme der Partitur) ausgeführt.

Spieldauer:

Teil I:              9’ 30’’

Teil II:             3’ 10’’

Teil III:            1’ 45’’

Teil IV:            2’ (tacet)

Teil V:             3’ 40’’

Gesamt:          20’ 05’’

Anmerkung:

To third*spaceS sieht einen äußerst transparenten – quasi solistisch aufgefächerten – Chorklang vor. Die vier Stimmlagen (S, A, T, B) sind hierbei in je drei Gruppen zerteilt. Diese sind im Kreis untereinander gemischt und z.T. über größere Distanzen voneinander entfernt. Das Stück ist über weite Strecken leise, filigran und in subtilen Mischungen und Schattierungen der Klänge komponiert. Der Genauigkeit der Klänge / Phoneme (exakt notiert in IPA-Zeichen, erläutert in externer Legende und durch Audio-Beispiele unterstützt) ist äußerste Sorgfalt und Intensität zu geben. Jede*r Sänger*in ist hierbei – quasi solistische*r  – Darsteller*in, welche*r auf direktere Weise zum Publikum „spricht“ als im gewöhnlichen – vom Publikum distanzierten und verschmelzenden – Chorkollektiv. Das Stück ist in diesem Sinne Kundgabe, Ansprache. Das Stück bildet sich gleichsam seismografisch einer Gesellschaft der Unruhe nach, erspürt die Bedrohtheit und Brüchigkeit – aber auch die Verrohung unserer Weltgesellschaft; Chor erscheint hiermit als eine soziale Realität im performativen Sinne.

 

Raumordnung:

Die zwölf Raumgruppen sind bestenfalls kreisförmig um das Publikum herum oder in zwei angrenzenden Halbkreisen auf der Bühne und um die Publikumsreihen herum postiert, je zwei oder mehr Sänger*innen nah beieinander (=Gruppe / notierte Stimme der Partitur). Der Abstand der Sänger*innen zum Publikum soll hierbei möglichst klein sein, eine dem Stück eigentümliche Nähe / Direktheit unterstützend. Es ist demnach idealerweise ein Aufführungsort zu wählen, welcher eine kreisrunde oder zumindest ovale Positionierung mit guten Sichtmöglichkeiten zwischen den Gruppen und dem Dirigenten ermöglicht.

Beschreibung: Macintosh HD:Users:danielsmutny:Documents:Zeichnung third-space-s.png

                                            II

Teil IV: Tacet mit Handzeichen:

In diesem Teil sind als extremste Form des Zurückgenommenseins (nach einem extremen Ausbruch Ende Teil III) lediglich spezifische Handzeichen zu zeigen. Leise Klänge sind hier akzidentiell nicht vermeidbar, obgleich nicht intendiert.

Die Zeichen entstammen dem Lorm-Alphabet taubblinder Menschen – einer taktilen Kommunikation, untereinander ausgeführt. Hier in diesem Stück werden sie von den Sänger*innen quasi an sich selbst ausgeführt: die rechte Hand berührt die linke. Die Zeichen sollen vor dem Körper, gut sichtbar ausgeführt werden (siehe auch genauere Hinweise in der externen Legende):

Beschreibung: Macintosh HD:Users:danielsmutny:Desktop:Bildschirmfoto 2020-02-17 um 16.38.58.png

[Bildquelle: Philipp Winterberg - TrueType von http://www.philipp-winterberg.de/projekte/lorm.htm, PD-Schöpfungshöhe, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=5108452]

 

Zum Titel und Hintergrund des Werkes:

 

Es geht um den »[...] Begriff des ›Dritten Raums‹, den Bhabha als kulturtheoretischen Schlüsselbegriff [...] prominent eingesetzt hat, [ein] Raum, der nicht als konkrete ›Örtlichkeit‹ zu verstehen ist, sondern als Raum oder Zone der Kritik und potentiellen Subversion rigider, hierarchischer Identitäts-konstruktionen und einseitiger Machtverhältnisse [...] Bhabha geht mit Foucault davon aus, dass Macht als ›unsichtbare‹ Disziplinarmacht nicht in eine einzige Richtung wirkt. Macht geht von multiplen, miteinander verknüpften Machtzentren aus, die alle gesellschaftlichen Beziehungen – den Gesellschaftskörper und den des Individuums – durchdringen, diskursiv konsti-tuieren und zugleich kontrollieren [...] Den Dritten Raum entfaltet Bhabha als ›Denkraum‹ [...], in dem binäre Ordnungs-schemata verwischt, Polaritäten verschoben, hybride Identifikationen ermöglicht werden [...] Der Dritte Raum ist nicht nur ein Schwellenraum zwischen den Identitätsbestimmungen, er öffnet auch Räume, die zu Veränderungen aller beteiligten AkteurInnen auf allen Seiten führen können.«1)

III

Textverhältnisse:

In To third*spaceS werden keine Texte vertont, das Stück ist rein aus – quasi instrumentalen – Klangwerten komponiert. Dennoch erscheint im Werk Text in dreifacher Weise:

  1. Die Sänger*innen sind eingeladen an den entsprechend Stellen für die notierte Dauer phonetisches Material zu flüstern, welches aus dem Ausdruck persönlicher Äußerungen bestehen kann: hierbei lädt der Komponist die Sänger*innen ein, Gedanken, Gefühle, Ideen, persönliche Bezugnahmen zur Textpassage in (3) aus Teil IV und V zu äußern.
     
  2. Gleiches gilt für Stellen, an welchen ein „normaler“ Sprechton / Sprechen vorgesehen ist.
     
  3. In Teil IV (und am Ende von Teil V) wird Text im Lorm-Alphabet gesprochen – gezeigt, wobei die Buchstaben auf die Stimmgruppen (im Raum) verteilt sind, die Wörter und Sätze somit in lokale und isolierte Bestandteile zerfallen. Die Textpassage lautet:

»[Artikel 1] Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.«

Sie entstammt der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (A/RES/217, UN-Doc. 217/A-(III)), 10. Dezember 1948 in Paris.

Klangbeispiele zur Legende / den Zeichen der Klänge

  1. ex.2

  2. ex.2+7

  3. ex.5

  4. ex.6

  5. ex.8

  6. ex.9

  7. ex.10

  8. ex.11

  9. ex.12

  10. ex.13

  11. ex.14

  12. ex.15

  13. ex.16

  14. ex.17

  15. ex.18

  16. ex.19

  17. ex.20

  18. ex.21

  19. ex.22

  20. ex.23

  21. ex.24

  22. ex.25

  23. ex.26

  24. ex.27

  25. ex.38

  26. ex.39

  27. ex.42

  28. ex.49

  29. ex.52

  30. ex.53

  31. ex.54

  32. ex.55